Insektensterben – Studie von Prof. John Holland

Insektensterben – Studie von Prof. John Holland

Müssen wir uns über die Rückgänge der Insektenpopulationen sorgen?

Die kürzlich veröffentlichte Studie (Hallmann et al. 2017) über die schwindenden Insektenpopulationen in deutschen Naturschutzgebieten erzeugte ein erhebliches Medienecho. Aber schlechte Nachrichten erhalten immer die größte Aufmerksamkeit. Sollten wir uns sorgen? Ist es für Landwirte vorteilhaft, von weniger lästigen Kreaturen umgeben zu sein? Nur sehr wenige Insektenarten richten Schaden in der Landwirtschaft an und insgesamt betrachtet sollte eine hohe Vielfalt an Insektenarten als Vorteil gesehen werden. Viele Arten kontrollieren Schädlinge, bestäuben Nutzpflanzen und regenerieren organische Materie. Sie sind außerdem ein essentieller Bestandteil des landwirtschaftlichen Nahrungsnetzwerks. Sie stellen einen wesentlichen Teil der Nahrung der meisten landwirtschaftlich genutzten Jungvögel und auch von Säugern, wie Mäusen, Spitzmäusen, und Igel; aber auch von Fledermäusen, Reptilien und Amphibien.

Die Evidenz
Die Autoren der Veröffentlichung fanden einen eher dramatischen Rückgang von 76% der Insektenbestände. Man muss aber bedenken, dass die Resultate nicht endgültig sind. Sie gelten nicht überall und vielleicht auch nicht für alle Insektenarten. Es lohnt sich die Ergebnisse unserer viel detaillierteren Studien aus Sussex und Loddington zu betrachten. Im Unterschied zur der deutschen Arbeit basieren diese Arbeiten auf jährlich wiederholten Stichproben (Sussex seit 1970 und Loddington seit 1992) an denselben Orten. Außerdem ermitteln die englischen Studien die Insektendichte von definierten Arten und nicht einfach die Biomasse aller gesammelten Individuen.

Änderungen in der durchschnittlichen Zahl von Wirbellosen pro Stichprobe in der Sussex-Studie. Die Stichproben wurden jährlich auf mindestens 100 Getreidefeldern ermittelt. Die Proben wurden mit einem Dvac Saugsammler genommen.

In einer Arbeit aus dem Jahr 2015 (Ewald et al. 2015) an 26 Insektengruppen wurde bei 12 ein Rückgang der Bestände festgestellt, zwei nahmen zu und der Rest variierte – einige nahmen im Untersuchungszeitraum zu, andere ab. Insgesamt ergab sich eine Abnahme von 35% der Gesamtzahl der Insekten. In der Analyse wurden auch die Ursachen der Rückgänge untersucht. Die durchschnittliche Temperatur und Feuchtigkeit hatten einen Einfluss, positiv und negativ. Pestizideinsatz für sich gesehen und in Kombination mit den Wetterdaten ebenso.
In der Sussex-Studie stieg der Einsatz über den Versuchszeitraum von Insektiziden, Fungiziden und Herbiziden und alle drei beeinflussen die Insektenbestände (Ewald et al. 2016). Herbizide beseitigen die Unkräuter von denen viele Pflanzen fressende Insekten abhängen. Fungizide reduzieren die Pilze. Von Insektiziden würde man eine Wirkung selbstverständlich erwarten, insbesondere, da diese selten artspezifisch wirken. Aber auch Pirimicarb, das speziell für Eintagsfliegen wirken soll, hat einen Einfluss auf Insekten generell (Moreby et al 2001).
Man kann folgern, dass sowohl der Entzug von Nahrungsbestandteilen als auch tödlich oder subletal wirkende Insektizide einen Einfluss auf die Bestände haben.

Folgerungen und die Zukunft
Ein wichtiger Aspekt der Sussex-Studie ist die Folgerung, dass 2 Gruppen von Wirbellosen (Spinnen und Käfer), die selbst als Pestmanager von Insekten wirken, mit am stärksten von Insektiziden betroffen waren. Für einige dieser Arten fand die stärkste Reduktion in den 1970ern statt. Wir wissen von früheren Untersuchungen, dass einige der damals benutzten Insektizide (Organophosphate) besonders schädlich waren (Ewald et al. 2016). Seither sind sich viele Landwirte der Rolle von natürlichen Feinden von Schädlingen und von Insektiziden viel bewusster. Dazu kommt noch die Einführung von neuen giftfreien Methoden zur Insektenbekämpfung und die Reduktion der Düngemittel. Insgesamt könnte sich dadurch eine Verbesserung der Lage der Insekten ergeben.
Wir sollten aber auch nicht zu selbstgefällig werden, da die moderne Landwirtschaft auch problematisch ist. Insektenpopulationen benötigen Zeit zur Erholung, da sie meist nur eine Generation pro Jahr hervorbringen. Unbehandelte Flächen in der Landschaft sind daher zu fordern. Große Behandlungsblöcke sind insbesondere für weniger bewegliche Arten (Carabiden) ungünstiger.
Auch die Auswirkungen der Behandlungsfrequenz sind noch nicht voll verstanden. Die Sussex Studie zeigt deutliche carry-over Effekte in die Folgejahre der Insektizidbehandlung (Ewald & Aebischer 1999; Ewald et al. 2016). Folglich kann man erwarten, dass höhere Behandlungsfrequenzen schlechtere Überlebenschancen für die Insekten bedeuten. Frühere Arbeiten konnten zeigen, dass es 7 Jahre dauert, bis sich die Bestände von der Behandlung erholt haben (Aebischer 1990).
Wie immer in der Ökologie ist nichts wirklich einfach. Insekten reagieren auf viele Einflüsse. Von diesen sind vielleicht die verbesserte Bodenbehandlung und die Methoden des „mixed farming“ die positivsten für die Ökologie der Landwirtschaft. Der Pflug ist generell ungünstig, da viele Insekten im Boden überwintern. Positiv wirken sich geringe Düngermengen und eine Zunahme der organischen Bestandteile des Bodens aus (Holland 2004). Auch Viehhaltung und das damit einhergehende Weideland dürften sich positiv auswirken. Wie fast immer in der Ökologie kann man selten ein „smoking gun“ benennen, von dem alle negativen Effekte ausgehen.
Wollen wir die Vielfalt der Insekten fördern gibt es mehrere Wege, die man beschreiten kann:
– Befolge die IPM – Richtlinien und benutze Insektizide so sparsam wie möglich.
– Sei nicht zu „sauber“ und toleriere etwas mehr Unkraut im Feld und im Garten
– Errichte neue Insekten-reiche Habitate, zB beetle banks etc
– Schneide Hecken nur alle 2 Jahre
– Halte Pestizide und Dünger von der Heckenbasis fern
– Benutze den Pflug nur sparsam
– Baue alternative Futtermittel für das Vieh an

Insektensterben – Studie von Prof. John Holland